Es ist kein trauriger Job

Viernheim. „Da kann man nichts mehr machen.“ Ein Satz aus dem Mund eines Arztes, vor dem sich wohl jeder Mensch fürchtet. Und über den Dr. Jutta Behrendt, Erste Vorsitzende des Hospizvereins Viernheim, den Kopf schüttelt. „Man kann immer etwas machen!“, sagt sie bestimmt. „Allein die Tatsache, die Hand zu halten oder zu sagen: Wir schaffen das zusammen, entlastet schon viele Sterbende.“ Genau das macht der Viernheimer Hospizverein seit 25 Jahren: Menschen auf ihrem letzten Lebensweg mit viel Herz begleiten.

Eine psychosoziale BetreuungBericht Jubilaum Wo Sterben gelebt wird

Dass das auch anders gehen kann, zeigte die Hospizbewegung, die in den 90er Jahren langsam aus England nach Deutschland schwappte. Die Idee: Ehrenamtliche Helfer stehen den Sterbenden und ihren Familien zur Seite, hören zu, lesen vor, spielen Brettspiele, halten die Hand – sind einfach da. Nicht als Pflegekräfte, sondern als psychosoziale Betreuung oder einfacher: als Menschen.

13 Ehrenamtliche engagierten sich direkt nach der Gründung des Vereins in Viernheim. „Das waren gleich richtig viele!“, sagt Palliativkrankenschwester Claudia Möller. Und es wurden noch mehr. Sie und ihre Kollegin Sabine Engelmann, die einzigen hauptamtlichen Kräfte des Vereins, koordinieren heute über 30 ehrenamtliche Hospizhelferinnen und -helfer und bilden derzeit neun neue aus. Doch es müssten noch mehr sein. Denn der Verein betreut jedes Jahr mehr Sterbende.

Vor Corona waren es über 100 Menschen im Jahr. „Während Corona wurde es etwas weniger, weil viele Familien Angst vor Ansteckung durch zu viele Kontakte hatten“, sagt Behrendt. Doch selbst in dieser Zeit sank die Zahl der betreuten Menschen nie unter 80. „Ohne Ehrenamtliche geht das nicht“, macht Engelmann klar. Denn neben den Hausbesuchen bietet der Verein auch noch eine Trauergruppe an und steht der Selbsthilfegruppe „Sternenkinder“ zur Seite.

Möllers Handy klingelt. Sie springt auf und verlässt den Raum im Obergeschoss des Hospizes Schwester Paterna, wo der Hospizverein seinen Sitz hat. Ständig für ihre Patientinnen und Patienten erreichbar zu sein, ist eines der wichtigsten Merkmale des Vereins. Meldet sich jemand Neues bei ihnen, kommen Möller oder Engelmann zu einem ersten Hausbesuch vorbei. „Wir schauen uns die Lage an, sehen, was notwendig ist und wer von unseren Ehrenamtlichen am besten passen würde“, erklärt Engelmann.

So früh wie möglich melden

Als Palliativkrankenschwestern können sie auch beurteilen, wenn mehr Schmerzmittel nötig sind und dazu Kontakt mit dem Hausarzt aufnehmen. Dann beginnt der eigentliche letzte Weg – doch diese Zeit ist oft zu kurz, bedauert Engelmann: „Viele rufen sehr spät an, nur wenige Tage vor dem Tod.“ Besser wäre es, die Betroffenen würden sich gleich melden, sobald klar sei, dass es für sie keine Heilung mehr gebe. „Wenn man jemanden bis ins Sterben begleitet, ist es gut, wenn man vorher eine Weile den Weg zusammen gegangen ist. Denn das braucht Vertrauen.“

Möller, die mittlerweile wieder in den Raum gekommen ist, nickt wissend. „Die Zurückhaltung vieler liegt an dem Wort Hospiz. Die Leute denken: Wenn die kommen, geht’s gleich ans Sterben.“ Deshalb nennen sie und Engelmann die Hospizhelfer lieber „Zeitspender“. Möller hat auch gleich ein Beispiel parat: „Ein Sterbender wünschte sich, Skat zu spielen. Also haben wir ihm Mitspieler für mehrere Skatrunden organisiert.“ Behrendt nickt und sagt: „Bis man stirbt, lebt man ja noch!“

Und dieses Leben soll würdevoll sein und vor allen Dingen: durch den Sterbenden so weit wie möglich selbstbestimmt. „Dafür braucht es manchmal ganz bewusst eine außenstehende Person zum Zuhören“, sagt Engelmann. „Mit uns sprechen Sterbende zum Beispiel darüber, dass sie Angst vor dem Tod haben. Zu ihren Kindern wollen sie das nicht sagen, um sie zu schützen.“

Angebot ist kostenlos

All das leistet der Hospizverein seit 25 Jahren für die Sterbenden und ihre Familien kostenlos. „Das können viele kaum glauben“, sagt Engelmann. Das ist der Grund, warum der Verein sein – wegen der Corona-Pandemie vom Herbst 2021 auf jetzt verschobenes – Jubiläum vom 24. bis 26. Mai mit drei Veranstaltungen feiert und dazu alle Viernheimer einlädt – um stärker auf die Arbeit der Ehrenamtlichen aufmerksam zu machen.

Ganz bewusst hat der Verein etwa das Schauspiel „Sie werden lachen, es geht um den Tod“ ausgewählt. Um zu zeigen, dass ihre Arbeit nicht totgeschwiegen werden sollte. „Mir geben die Menschen, die wir betreuen so viel zurück“, sagt Möller und Engelmann nickt. Behrendt nickt. Ja, ihre Patienten sterben. „Aber es ist kein trauriger Job!“

20.5.2022  Kathrin Miedniak Freie Autorin Mannheimer Morgen